Heimatmuseum Luedgendortmund

Geschichte unseres Vereins und Hiltrup

Die Entwicklungsgeschichte der westfälischen Schützenvereine

von Bärbel Reisener

Die Entwicklungsgeschichte des westfälischen Schützenwesens zeigt zwei Bereiche:

Das Schützenwesen auf dem Land und das Schützenwesen in der Stadt. Der gemeinsame Ursprung liegt in der Not- und Wehrgemeinschaft. Archive geben in Statuten, Rechnungen oder Chronikahlen Notizen Auskunft über die Entstehung.

In den Städten entfaltete sich das Schützenwesen gegen Ende des 12. Jahrhunderts, auf dem Land liegen die Ursprünge noch weiter zurück.

 Ländliche Schützengesellschaften

Zu keiner Zeit konnte sich der Mensch als Einzelwesen gegen die Natur im täglichen Leben behaupten. In der Gemeinschaft jedoch veränderte er den Urwald zum Acker oder schützte seine Wohnung vor räuberischem Großwild. Nach dem germanischen Volksrecht des 6. und 7, Jahrhunderts sind erste Siedlungsgemeinschaften als Nachbarschaften bekannt. Sie zeichneten sich durch gemeinsame Werktätigkeit, religiöse Kulthandlungen, Feiern und Kampfgemeinschaften aus. Karl der Große versuchte vergeblich, diese Nachbarschaften auszurotten. Besonders in den religiösen Kultübungen sah er die Christianisierung gefährdet.

Die Not des Alltags hat die Nachbarschaften erhalten; vom Mittelalter bis zur Neuzeit fehlt es nicht an Zeugnissen über bäuerliche Lebensgemeinschaften oder bäuerliche Gilden. Im 12. Jahrhundert trat die Bauernschaft als kleinste Einheit an die Stelle der Nachbarschaft. Die bäuerlichen Gilden trafen sich in regelmäßigen Abständen zum Gildebrevier im Gildehaus. Gildehäuser sind heute noch in allen Teilen Westfalens bekannt, kleine Ortsteile tragen oftmals diesen Namen. Die Gilde zeichnete sich durch bäuerliche Selbstverwaltung unter dem Vorsitz ihres Kanzlers oder Schaffners aus. Das Amt ging unter den Altbauern reihum. Die Bauernschaft bekundete ihre Wehrkraft in einer Schützengemeinschaft

Seit Karl dem Großen bestand für den Bauernstand nicht mehr die Verteidigungspflicht, die Heerbannpflicht. Adelige und Ritter mit Dienstmännern und Knappen zogen in den Krieg. Der Bauer blieb auf dem Hof, er zahlte die Kriegssteuer, den Heerbannschilling. In Hiltrup zahlte der Hof Wentrup im 12. Jahrhundert jährlich bereits 1 Heerschilling Kriegssteuern.

Die Bauern übernahmen die Aufgabe der Landwehr. Mit Speer und Spieß bewaffnet, folgten sie dem Aufruf durch den „Glockenschlag", ihr Kirchspiel bei Angriffen zu verteidigen. Die Landesfürsten legten größten Wert auf eine wehrfähige Landwehr. Sie verpflichteten das Landvolk zu regelmäßigen übungen und Musterungen. Seit dem 13. Jahrhundert erlernten die Bauern Bauernschaftsweise den Umgang mit der Armbrust.

Nach der Erfindung des Schießpulvers entwickelten sich seit dem 14. Jahrhundert die Feuerwaffen. Als sie sich im 15. Jahrhundert bei der Bevölkerung immer mehr durchsetzten, bildeten die ersten Besitzer dieser Feuerrohre (Büchsen) besondere Gruppen. Das ergab sich zwangsläufig, denn die Handhabung mit der Feuerwaffe erforderte regelmäßige übungen. Die Männer bezeichneten sich als Schützen, weil sie mit ihren Waffen zum Schutz für Eigentum, Leben und Ehre eintreten konnten. Diese Gruppen waren die ersten Schützenvereinigungen.

Alljährlich veranstalteten die Bauernschaften ein Wettschießen. Dabei wurde im Fürstentum Münster im 16. Jahrhundert fast in jeder Bauernschaft auf einen Vogel geschossen. Diese übungen verloren im Lauf der Zeit den ursprünglichen Zweck der Selbstverteidigung. Schwerpunkt der Zusammenkünfte war Geselligkeit bei Essen und Trinken. Der Landesfürst schränkte diese Treffen 1571 in einer Landesverordnung ein:

„Betreffend das Vogelschießen will man gestatten und nachgeben, dass solches an einem jeden Ort des Jahrs einmal geschehe, doch dass niemand aus fremden Bauernschaften dazu gefordert und je auf zwanzig Personen ein Tonne Keuts oder Biers und nie mehr angeschlagen oder bestallt werde. Soll auch solche Gesellschaft länger nie als einen Nachmittag wehren, und ein jeder bei Tag zeitlich wiederum sich gen Haus begeben. Wie auch hiermit insbesondere verboten wird, dass außerhalb diesem Vogelschießen die Hausleute oder Bauern keine Rhuer (= Feuerrohe, Gewehr) oder Buchsen über Veldt tragen, noch einig Wildt, klein oder groß, schießen sollen bei Verlierung solcher Buchsen oder Fewrrhuren".

Während des Dreißigjährigen Krieges gewannen die wehrfähigen Bauern im Münsterland und im südlichen Westfalen wieder an Bedeutung. Fehlende Milizen und die Vernachlässigung der Wehrtüchtigkeit rächten sich. Niederländer und Spanier zogen in Plünderungszügen durch Westfalen. In dieser Zeit bildeten sich viele ländliche Schützengilden. Doch standen die abwehrenden Bauern wegen ihrer mangelnden Erfahrung ihren ausgebildeten Gegnern machtlos gegenüber. Bischof Bernhard von Galen (1606 - 1678) förderte nach Beendigung der Kriegswirren die Idee der Volksbewaffnung erneut.

Neugegründete Schützenvereine bildeten sich. Für die Bauern einer Bauernschaft war die Mitgliedschaft Pflicht. Kötter dagegen brauchten nur zweimal jährlich mit einer Hellebarde oder einem Knüppel zur Musterung erscheinen. Diese Schützenvereine stellten es sich zur Aufgabe, die männliche Bevölkerung im Gebrauch der Waffen zu unterweisen. Vielerorts wurden den Schützenvereinen auch polizeiliche Aufgaben übertragen.

Erst im 18. Jahrhundert verlor die Wehrkraft der Schützenvereine an Bedeutung, als das Militärwesen ein stehendes Berufsheer einrichtete. Das Interesse der Landbevölkerung am Wehrsport sank, vorrangig erschienen das „Gelach" und das Festessen. Nach der französischen Besetzung deutscher Gebiete durch Napoleon verboten 1807 die Franzosen alle Schützenvereine, da sie ihnen Wehrkraft und militärische Bedeutung beimaßen.

Nach den Befreiungskriegen (1813-1815) bestand bei der Bevölkerung wieder ein reges Interesse an der Pflege nachbarschaftlicher Geselligkeit und Schießwettbewerben. Nicht das Schießen aus militärischen Gründen war gefragt, sondern das sportliche Schießen, bei dem es weniger auf Reaktionsschnelligkeit ankam, als auf innere Ausdauer, Ausgeglichenheit und Präzision. Ein Gewehr war in fast allen Häusern vorhanden. So gründeten sich allmählich wieder Schützenvereine. In Hiltrup konnte Lehrer Voß 1851 einige Ortsbewohner für eine Vereinsgründung begeistern. Das erste Schützenfest feierte die Schützen am 19. und 20. Juli 1851 am „Dicken Weib“. Dazu lud der Westfälische Merkur am Sonnabend, dem 19. Juli 1851, ein.

Städtische Schützengesellschaften

Wie auf dem Land, so entstanden auch in der Stadt Schützengesellschaften als Notgemeinschaften. Sie sind so alt wie die Befestigungsanlagen ihrer Städte. Schützengesellschaften bildeten sich in Stadtteilen und verteidigten abschnittsweise die Befestigungsanlage.

Schon im 12. Jahrhundert gründete Bischof Burchard (1098 - 1118) die Gemeinschaft der „Ysslegere" (Eisschläger). Diese Gruppierung münsterscher Bürger zu einer Verteidigungsgemeinschaft (mit Eisen) ist das älteste Zeugnis für die Anfänge einer städtischen Verteidigungsorganisation in Westfalen. Die Verteidigungsgemeinschaften orientierten sich an der ständischsozialen Gliederung der Bevölkerung. Reiche Kaufleute verschmähten es, mit Handwerkern und kleinen Bürgern zu kämpfen:

Einzelne Zünfte schlössen sich zu Gilden zusammen und bildeten Verteidigungsgruppen. Jedes Mitglied einer Gilde musste Besitz und Pflege von Harnisch und Waffen nachweisen.

Reiche Patriziersöhne erwarben ihre Wehrtüchtigkeit auf dem städtischen Turnierfeld (in Münster vor dem ägidiitor). Der größte Teil der städtischen Bürgerschützen übte regelmäßig den Umgang mit der Armbrust, später mit der Büchse, oder auch mit Pike und Spieß. Vermutlich haben sich die Bürgerschützen, die über keine eigenen Waffen verfügten, zu Wehrorganisationen zusammengeschlossen. Bei regelmäßigen Treffen übten sie sich in der Schießfertigkeit. Die Gründung von Schützenvereinen war zwangsläufig.

Städtischen Schützenvereinen fiel die Aufgabe der Aufsichtsdienste auf den Stadtmauern und Stadtbefestigungen zu, daneben verrichteten sie soziale Dienste wie Bestattungen und Feuerlöscharbeiten. Die Einberufung von Landsknechten und Söldnerheeren vermindert die Bedeutung der Schützenriegen. Wehrdienst und sozialer Einsatz wurden zweitrangig, die Freude an kostspieligen Gesellschaften führte zu immer neuen Vereinsgründungen. Schützenvereine pflegten zu allen Zeiten eine enge Verbindung zur Kirche. Ihre Pflichten und Rechte sind in Statuten festgelegt.

In friedlichen Zeiten vergaßen die Schützenbrüder oft den Sinn ihrer Vereinsgründung, Sie ermöglichte demjenigen den „Königsschuss", der ihnen das kostspieligste Fest finanzierte. Um Auswüchse zu vermeiden, sind Schützenfeste immer wieder untersagt worden.

Das Vogelschießen

Die Anfänge des Vogelschießens reichen in die Zeit vor 1300 zurück. In der Fachliteratur finden sich nur verstreut Hinweise auf dieses Brauchtum. Schützenscheiben sind beliebte Objekte in Museen und Ausstellungen, Schützenvögel wird man meistens vergeblich suchen. Die Erklärung ist nahe liegend: Scheiben bewahrte man gern als Trophäen auf, wohingegen Schützenvögel zerschossen und jährlich neu gebaut wurden.

Mit der Gründung von Schützengesellschaften wird das Armbrustschießen, später das Bogenschießen, noch später das Büchsenschießen gebräuchlich. Das organisierte Schießen diente übungszwecken der Dorf-, Stadt- und Landesverteidigung, Die Schützen übten regelmäßig auf einem Schießplatz, später in einem Schießhaus. Die Scheibe diente hauptsächlich als Zielobjekt, Daneben fand meist jährlich ein Weit- und Preisschießen statt. Als Zielobjekt wählte man den auf einer Stange aufgesteckten Vogel. In ältesten Urkunden ist dieser Vogel als Papagei bekannt. Seit den Kreuzzügen erfreut sich der Papagei aufgrund seines exotischen Aussehens an adeligen Höfen großer Beliebtheit. Schießgesellschaften wählten hölzerne Vögel, die sie mit Farbe und Federn exotischen Tieren nachbildeten. Als Abschießvogel wählte man seit dem 16. Jahrhundert den Adler. Das Abbild ist angelehnt an den heraldischen Adler des Reiches, später an das Wappentier Brandenburg-Preußens, im 19. Jahrhundert an den Adler des Kaiserreiches von 1871.

Zweck und Ziel der Schützengesellschaften haben sich seit dem 17. Jahrhundert stark gewandelt. Wehrertüchtigung und Wehrbereitschaft waren nicht mehr nötig, die in regelmäßigen Zeitabständen stattfindenden Schützenfeste entwickelten Volksfestcharakter. Das Vogelschießen ist heute noch ein weit verbreitetes Brauchtum in Westfalen, am Niederrhein und in Norddeutschland, darüber hinaus auch noch in den Ursprungsgebieten Nordfrankreich, Belgien und Holland. In Mitteldeutschland wird diese Tradition nach 1945 kaum noch gepflegt. Die Vogelstange wurde aus Sicherheitsgründen außerhalb oder am Rande bewohnter Gebiete errichtet. Das Gerüst bestand früher aus Eichenholz. Die Stange ist abklappbar oder besteigbar, um den Vogel aufstecken zu können. 1975 beschloss die Generalversammlung der Hiltruper Bürgerschützen, die hölzerne Vogelstange durch ein Metallgerüst zu ersetzen. Der Hiltruper Straßenname „Zur Vogelstange" erinnert an den jährlichen Höhepunkt im Schützenjahr. Die „Schützenstraße" ist 1974 infolge der Eingemeindung in „Nimrodweg" umbenannt worden.

Bürgerschützen Hiltrup